Kritisieren
geschrieben von Urban
Wie kann man etwas Kritisieren, was frei improvisiert ist?
Das erste, was man beim Improvisieren lernt, ist ja, dass es kein „Richtig oder Falsch“ gibt! Impro ist reine Intuition und Freiheit. Und trotzdem kommen irgendwann Momente der Unzufriedenheit, wenn eine Szene nicht gut gelaufen ist und man das Gefühl bekommt, besser sein zu wollen.
Ist es denn nicht ein genereller Widerspruch, wenn Impro-Leute auf der einen Seite die Tugenden von „Feier Deine Fehler“ und „Fuck the rules“ zelebrieren, und auf der anderen Seite, Unzufriedenheiten mit sich rumtragen, ständig „besser“ werden wollen und Frust empfinden und gegenseitig Kritik üben?
Dieser Widerspruch ist vorhanden, und macht es tatsächlich auch recht schwierig, konstruktive Kritik in Improkreisen zu üben.Dazu kommt: Improspieler sind faul. Disziplin, Ausdauer, Konzentration auf Verbesserung von Schwachstellen und klare Konsequenzen, wenn Verabredungen nicht eingehalten werden, gehören nicht zu den Stärken von vielen Improgruppen, die ich kenne. Wie oft gehen lange Diskussionen und Auswertungsrunden über die Qualität einer Show nicht mit einem klaren Maßnahmenplan zu Ende, sondern mit dem Zitieren des über allem stehenden Allheilmittels: „Ist eben Impro!“ Das erzeugt auf die Dauer aber erst recht Frust. Und es braucht viel Vertrauen in seine Impropartner, um sich darüber kritisch auseinanderzusetzen. In einer vertrauensvollen Atmosphäre ist Kritik konstruktiv, und sie folgt drei goldenen Regeln: Die Kritik erfolgt zeitnah, sie ist konkret, und sie dient dazu, den anderen zu stärken, und nicht den anderen klein zu machen oder zu verletzen.Der Teufel steckt im Detail. Wenn man sich die Mühe macht, genau hinzuschauen, an welchem Detail man denn arbeiten will, um seine Qualität zu verbessern, sind die Chancen deutlich höher, seine persönliche Entwicklung zu kontrollieren.
Für eine Improgruppe, die sich entwickeln will, ist es auf jeden Fall angebracht, sich mit derlei Zusammenhängen auseinanderzusetzen, um zu sehen, ob man denn die gleichen Ziele hat.
Ich kenne Impro-Gruppen, die so lange am Storytelling gearbeitet haben, dass sie automatisch bei Minute 70 der Show bei der „größten Krise des Helden“ angelangt waren! Aufschrei: „DAS ist doch kein Impro mehr!“
Da kann man sich lange streiten, aber klar ist: Je besser man die einzelnen Qualitäten des Improspiels beherrscht und trainiert hat, und je genauer man in der Gruppe weiß, dass auch die Partner dieselbe Vorstellung von „Storytelling“, „Status“, „Emotionaler Wahrhaftigkeit“ usw. haben, umso vertrauensvoller kann ich mich auch bei der Aufführung fallen lassen und auf den Moment vertrauen! Und da funktioniert Impro wieder, wie jede andere Kunst auch: Wenn ich auf der Bühne stehe, und der Vorhang aufgeht, zählt nur die Intuition und der Moment und ich muss mich auf meine Vorbereitung verlassen, und ich darf nicht über das Reflektieren, was ich gerade tue – sonst ist jede Kunst tot: Sei es ein Klavierkonzert, Ballett, klassisches Schauspiel oder Impro. Und wie leicht oder ernst man die Kunst des Improvisierens auch nimmt, nach jeder Kritik sollte man sich an die weisen Worte von Randy Dixon erinnern:„If you had a good show – you should go with your friends and have a beer – If you had a bad show, you should go with your friends and have a beer.“
Prost!