Präsent sein
geschrieben von Regina
Wir können gedanklich schnell vor und zurück springen, Pläne schmieden, so ganz nebenbei an etwas völlig anderes denken. Wenn ich für zehn Minuten versuche nur das wahrzunehmen, was gerade in diesem Moment passiert, ist das nicht ganz einfach. Schon flitzen meine Gedanken zu dem Treffen heute Vormittag oder ich sehe mich im Zug sitzen, da morgen mein Urlaub beginnt. Diese gedankliche Flexibilität ist eine unglaubliche Fähigkeit, warum also im Moment sein, wenn’s auch viel komplexer geht?
Wir improvisieren mit dem ersten wahrgenommenen Angebot, weil wir für alles offen sein wollen, was kommt. Mit dieser Offenheit und Aufmerksamkeit kann ich darauf vertrauen, dass etwas geschieht, ohne dass ich etwas vorplane oder –denke. Gleichzeitig hellwach sein und ganz gelassen. Das ist für mich ein Bild von Präsenz.
Ein Moment, ein Angebot – daraus entwickle ich mit meinen Spielpartnern eine Geschichte. Beim Improvisieren auf der Bühne und beim Unterrichten lenken wir unsere Konzentration auf alles, was gerade passiert. Welche Angebote gibt es? Was wird geäußert, welche Stimmung entsteht im Raum? Alle Wahrnehmungsantennen sind ausgefahren - auch für mein eigenes Befinden, wo stehe ich gerade, was äußere ich? Das Angebot kann ein Schulterzucken meines Partners oder mein Schmunzeln oder ein umgefallenes Weinglas im Zuschauerraum sein. Wenn diese drei Ereignisse- mein Partner zuckt, ich muss schmunzeln, das Weinglas fällt um- unabhängig und gleichzeitig geschehen, was nehme ich als Angebot auf? Ich fokussiere und treffe eine schnelle vielleicht auch intuitive Entscheidung. Wie die Entscheidung gefällt wird, hängt auch davon ab, was mich - beim Impro- gerade beschäftigt, worauf wir als Gruppe gerade den Fokus legen, was mich gerade anspricht. Aber auch davon, was mich gerade verunsichert oder aufregt und dann vermeide ich das Angebot. Diese schnelle Entscheidungsfindung hat mit meiner Erfahrung und aktueller Befindlichkeit zu tun.
Es ist wie ein Kitzel, wenn wir auf der Bühne plötzlich gemeinsam dieselbe Entscheidung treffen, unseren Fokus auf dasselbe Ereignis legen. Wenn wir diese Aufmerksamkeit für uns und den Moment gemeinsam spüren, dann ist das einfach ein tolles Gefühl. Etwas nicht Alltägliches entsteht, mit voller Konzentration auf meine Umgebung und mich. Es hat für mich etwas sehr verbindendes, wenn ich spüre, dass wir alle gerade gemeinsam offen sind für den Moment. Etwas geschehen lassen, loslassen, absichtslos spielen. Gedanken, Bewertungen, Erwartungen fallen lassen und einfach vertrauen, dass wir alle wach füreinander sind, das sich eine Idee entwickeln wird. Diese Offenheit und Gelassenheit schaffen wir immer wieder von Neuem- auf der Bühne, im Unterricht, im Leben. Mal klappt’s, mal nicht. Mal schauen, was passiert!