Raum
geschrieben von Sonja
Als Improspieler konzentrieren wir uns sehr stark darauf, die
Geschichte durch Beziehungen zu den anderen Mitspielern und durch
Charaktere aufzubauen. Nicht selten bewegen wir uns dabei im leeren
Raum.
Dass das klassische Impro normalerweise auf einer leeren
Bühne stattfindet, heißt noch nicht, dass die Bühne auch leer bleiben
muss. Theater ist, unter anderem, auch ein sehr visuelles Medium.
Genauso wie durch Reden und Körpersprache, können auch visuelle Elemente
den Zuschauern etwas erzählen, wenn nicht noch viel stärker.
“Ein
Bild sagt mehr als tausend Worte”. Visuelle Elemente aus einer
improvisierten Darstellung herauszulassen heißt, mindestens ein Drittel
der Ausdruckskraft von Theater zu opfern.
Was sind also diese “visuellen Elemente”? Wenn wir das Licht und die
Kostüme außer Acht lassen, weil wir sie bei den Proben und Workshops
selten benutzen, dann bleibt uns alles andere: welche Gegenstände
befinden sich an dem Ort, wo unsere Szene stattfindet? Wie sehen sie
aus? Haben sie besondere Merkmale, Details?
Ein Schrank ist nicht
nur ein Schrank. Es ist vielleicht ein sehr alter, sehr schöner Schrank
aus feingeschliffenem Mahagoniholz. Weil ihm ein Bein fehlt, steht er
vielleicht nicht mehr gerade und eine Tür öffnet sich immer von alleine.
Drinnen stehen vielleicht Gegenstände, die der Besitzer lieber
versteckt hätte. Eine Leiche? Ein riesiger rosa Teddybär?
Alle
Bühnenelemente, die wir auf der Bühne als Improschauspieler definieren
können, geben uns und den Zuschauern Hinweise zum Charakter und zu der
Situation, in der sich ein oder mehrere Spieler in der Szene
befinden.
Dazu kommt auch etwas vielleicht noch weniger Sichtbares - die
Atmosphäre. Die Atmosphäre ist nie neutral. Sie wird nur oft nicht
bespielt und bleibt dabei unsichtbar. Ist es heiß oder kalt? Windig?
Stürmisch windig, oder ist es nur eine leichte Sommerbrise? Wie spät ist
es? 3.15 Uhr mitten in der Nacht, 8 Uhr morgens oder Mittag? Ist es
dunkel oder hell? Riecht es nach Blumen oder kann man kaum atmen?
Ein
Spieler, der sich in eine spezifische Atmosphäre einlebt, erzeugt
sofort Präsenz und stellt automatisch eine Stimmung, eine Situation und
einen Charakter dar. Die Geschichte kommt (fast) von alleine.
Also: Gestaltet, spürt und spielt mit dem Raum. Die Szene und die Zuschauer werden sich freuen.
Sonja stellt ihr gerade erschienenes Buch „Collective Improvisation: From Theatre to Film and Beyond“ am 5.6. um 16.30 Uhr in der ufa Fabrik in Berlin-Tempelhof, Viktoriastraße 10-18 im Rahmen unseres Impro-Film-Festivals "Should I stay or should I go" vor. Für mehr Informationen hier klicken.